– Von Tim Cole –
County Donegal gilt als der „wilde Norden“ Irlands, wo es noch mehr regnet als sonst im Land des täglichen Regengusses. Das Gras ist deshalb hier auch ein bisschen grüner als sonst auf der sprichwörtlich grünen Insel, aber außer ein paar beinharte Bergwanderer und ein paar Tausend Schafe verirrt sich hier meist keiner hin. Was ein Fehler ist, denn hier, wo die Wellen des Atlantik sozusagen ungebremst an die schwarze Felsenküste knallen, findet sich Irlands bestgehütetes Golf-geheimnis: Der kleine Golfclub Cruit Island, von dem ein britisches Golfmagazin einst schrieb, es sei der „beste unbekannte Golfplatz der Welt“!
Man kann sich Cruit Island als eine Kreuzung zwischen St. Andrews und Pebble Beach vorstellen, natürlich ohne den kalifornischen Sonnenschein. Es ist ein typischer Linksplatz, der sich durch die Sanddünen der Halbinsel schlängelt, die sich „The Roses“ nennt und an deren äußerster Spitze der winzige Flugplatz von Donegal liegt. Wieso jemand auf die Idee gekommen ist, hier im kaum besiedelten Nordwesten der Insel einen Flugplatz hinzubauen, gute zwei Stunden von Donegal entfernt auf engen, gewundenen Landstraßen, wo man manchmal eine Ausweichbucht braucht, weil keine zwei Autos nebeneinander passen, weiß ganz allein der Gott der Iren, und es fliegen auch nur zweimal am Tag kleine Maschinen von Dublin hierher. Es gibt ein paar einfache Pensionen und eine Menge Ferienhäuser, typische „Cottages“ im irischen Stil, in denen hauptsächlich Iren aus dem Süden ihren einsamen Urlaub verbringen. Und solche verrückten Touristen aus good old Germany wie wir, die in Donegal an der Bar nach drei randvollen Gläsern Guiness einem Einheimischen, der sich als leidenschaftlicher Golfer entpuppte, das Geheimnis des kleinen Kurses am Ende der Welt entlockt haben und sich gleich am nächsten Tag im Mietwagen auf den Weg machten, um nachzusehen, ob es stimmt, was er sagte. Die Iren, das muss man wissen, neigen gerne dazu, Fremde freundlich auf den Arm zu nehmen, und so waren wir nicht einmal sicher, ob wir überhaupt einen Golfplatz vorfinden würden, geschweige einen der schönsten der Welt. Und lange Zeit sah es auch nicht danach aus: Von Dungloe, einem kleinen Marktort, geht es an der Küste entlang nach Burtonport, einem winzigen Fischerhafen, dessen einzige Attraktion das allerdings hervorragende Fischlokal „The Lobster Pot“ ist und wo wir uns erst einmal mit einem Salat aus frischem, kaltem Hummer zur Stärkung gönnten. Die Wirtin gab uns dann den entscheidenden Tipp: „Fahren Sie noch einen Kilometer weiter bis zum Friedhof, dann geht es links weg zum Golfplatz.“ Tatsächlich stand neben den Grabsteinen ein verwittertes Schild, „Golf Course“, dem wir über einen einspurigen Feldweg durch die Dünenlandschaft folgten, bis etwa nach einer Viertelstunde tatsächlich ein Gebäude sichtbar war, das aussah wie ein Pub. Ist es auch, denn den Luxus eines Clubsekretariats oder eines Proshop leistet man sich in Cruit Iland nicht. Dafür aber einen langen Tresen, hinter dem nach einigen Minuten ein typischer älterer Ire auftauchte mit rotem, windzerfurchtem Gesicht und mit grauen Strähnen durchzogenes rotes Haar. Ja, klar könnten wir eine Runde spielen, meinte er. Macht 15 Euro. Leihschläger? „Schaut mal hinten in der Kammer, da stehen welche, die könnte ihr haben.“ Kostet? „Ach, gar nix, nehmt sie Euch einfach.“ Gut, ich habe schon mit schöneren Schlägern als diesen gespielt, aber der halbe Satz war sauber und gepflegt, und bei dem, was uns noch erwartete, waren die Schläger noch mein kleinstes Problem.
Der Teeoff hinter dem Clubhäuschen führt ins Nichts. Blinde Abschläge sind eine Spezialität von Cruit Island, ebenso wie enge Fairways und langes Seegras, das einen Ball wie eine Bärenfalle festhält und nicht mehr loslässt, wenn man ihn überhaupt dort abseits der regulären Spielbahn findet. Lektion Nummer eins auf Cruit Island: Genügend Bälle mitnehmen! Der Wirt hat jede Menge Gebrauchte auf Lager, das Stück ein Euro. Lektion zwei: Den Driver am besten zu Hause lassen. Hier ist Präzision wichtiger als Länge, und jeder Schlag erfordert einen ausgefeilten Schlachtplan. Lektion drei: Am besten vorher ein paar Stunden aus dem Bunker schlagen üben, denn Cruit Island ist natürlich auf Sand gebaut, also ist der ganze Platz im Grunde ein einziger riesengroßer Bunker, das von ein paar Grasbahnen durchzogen ist.
Und das soll einer der schönsten Golfplätze auf Erden sein? Ja, das ist er. Aber die Schönheit erschließt sich erst beim Gang entlang einer wildromantischen Felsenküste, beim Anblick von rauhen Basaltsäulen, die aus dem Meer herauszuwachsen scheinen und an denen sich die Wellen in Gischtwolken auflösen, immer und immer wieder. Der Wind weht einem ins Gesicht, die Wolken jagen über den Himmel, ab und zu fällt sanfter Regen wie ein Wasserschleier – ein Ire würde so etwas niemals als Regen bezeichnen, höchstens als etwas feuchte Luft.
Es ist ein ursprüngliches Golferlebnis, sozusagen „back to the roots of golf“, als man noch mit gekrümmten Haselhölzern auf lederbespannte Bälle drosch, um sie in Hasenlöcher zu versenken. Hier draußen bist du mit dir selbst alleine, bekommst gnadenlos deine Grenzen als Golfer aufgezeigt, freust dich über einen seltenen gelungenen Schlag und über jeden eingelochten Ball. Und vor jedem Schlag hälst du an und schaust dich um, weil hier Landschaft, Luft und Meer ein immer neues Panoptikum bilden, an dem du dich niemals satt sehen kannst.
Und dann stehst du am siebener Loch und weißt, warum Cruit Island in einem Atemzug mit Pebble Beach genannt wird. Denn hier stehst du beim Abschlag auf einer Klippe, die auf allen Seiten vom Meer umspült ist, und schaust hinüber aufs nur 137 Meter entfernt Grün. Dazwischen durchspülen die Atlantikbrecher eine schwarze, zackige Felsenschlucht, und denkst dir: „Da kommt doch kein Mensch drüber!“ Du schlägst ab, der Ball fliegt wunderbar und kerzengerade – bis ihn die steife Meeresbrise packt und unaufhaltsam nach rechts schiebt, wo er in den tosenden Fluten versinkt.
Mitleidig schaut man auf seine Ehegattin, die unbeschwert aufteet, locker durchschwingt und auf einmal keine zwei Meter neben der gottverdammten Fahne zum Liegen kommt! Während sie sich das Par notiert, flötet sie fröhlich: „Was für ein schönes Loch!“ Und als Herr der Schöpfung denkt du dir, wieso lassen sie eigentlich in Irland Frauen Golf spielen?
Beim Guiness an der Bar im Clubhaus holt der Chef das Album mit den Artikeln heraus, die andere Golfjournalisten über Cruit Island geschrieben haben, auch der des Kollegen, der ihn für den schönsten unbekannten Platz der Welt gehalten hat. Schön? Na ja: beinhart, eng, unverzeihlich, eigentlich ganz und gar unmöglich. Und trotzdem ein herrliches, ein einzigartiges Erlebnis. Du musst wahrscheinlich Golfer sein, um sowas zu verstehen. Oder ein Ire.